ADLER UND FREUD
ALFRED ADLER UND SIGMUND FREUD – EIN ÖDIPALES DRAMA
Von 1902 bis 1911 war Alfred Adler Mitglied der psychoanalytischen „Mittwoch-Gesellschaft“ Sigmund Freuds und trotz zunehmender inhaltlicher Differenzen einer seiner wichtigsten Mitarbeiter. Nach dem Bruch mit Freud begründete Adler die Individualpsychologie, die sich heute in vielen Ländern wieder als psychoanalytische Schule versteht.
Sehr geehrter Herr Kollege
Ein kleiner Kreis von Kollegen und Anhängern will mir das große Vergnügen bereiten, sich einmal in der Woche am Abend (½ 9h postcoenam) bei mir einzufinden, um die uns interessierenden Themata Psychologie und Neuropathologie zu besprechen. Ich weiß von Reitler, Max Kahane, Stekel. Wollen Sie die Güte haben, sich uns anzuschließen? Wir haben den nächsten Donnerstag in Aussicht genommen und ich erwarte Ihre freundliche Äußerung, ob Sie kommen wollen und ob Ihnen dieser Abend passt.
Mit herzlichem kollegialen Gruß
Ihr Dr. Freud
Sigmund Freud lud Alfred Adler 1902 zur Teilnahme an jener Runde ein, aus der später die psychoanalytische „Mittwoch-Gesellschaft“ entstand. Freud sah im jüngeren Kollegen einen Hoffnungsträger für die Zukunft der psychoanalytischen Bewegung. Ab 1906 begann Adler, eigenständige Überlegungen zu entwickeln. Freud stand all dem zunehmend kritisch gegenüber und betrachtete dies als Verrat an den Grundannahmen der Psychoanalyse. So stellte Adler etwa die zentrale Bedeutung der Sexualität bei der Entstehung von Neurosen in Frage.
Zum Bruch kam es 1911, nachdem Adler seine Anschauungen vortrug und von Freud und dessen Gefolgsleuten heftig kritisiert wurde. Adler legte alle Funktionen zurück. An den neuen Hoffnungsträger Jung schrieb Freud: „Etwas müde von Kampf und Sieg, teile ich Ihnen mit, dass ich gestern die ganze Adlerbande (6 Stück) zum Austritt aus dem Verein genötigt habe. Ich war scharf, aber kaum ungerecht.” (Freud-Jung 1974, S. 493)
1910 waren die Spannungen zwischen den beiden bereits erheblich, wie ein Brief Freuds an C.G. Jung zeigt: „Adler, ein sehr anständiger und geistig hochstehender Mensch, ist dafür paranoisch, drängt seine kaum verständlichen Theorien im ‘Zentralblatt’ so vor, dass sie alle Leser in Verwirrung bringen müssen. Streitet beständig um seine Prioritäten, belegt alles mit neuen Namen, beklagt sich, dass er in meinem Schatten verschwindet, und drängt mich in die unliebsame Rolle des alternden Despoten, der die Jugend nicht aufkommen lässt.” (Freud-Jung 1974, S. 412) Dennoch schlug Freud vor, Adler zum Obmann der Wiener Ortsgruppe der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zu wählen.
Wie verbittert Freud bis zuletzt blieb, zeigt sein Kommentar zu Adlers Tod: „Für einen Judenbuben aus einem Wiener Vorort ist ein Tod in Aberdeen, Schottland, eine unerhörte Karriere und ein Beweis, wie weit er es gebracht hat. Wirklich hat ihn die Mitwelt für das Verdienst, der Analyse widersprochen zu haben, reichlich belohnt.” (Handlbauer 2002, S. 178)
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